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Papa

  • Autorenbild: Ulrike Schöllhorn
    Ulrike Schöllhorn
  • 24. Juli
  • 7 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 26. Juli

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Eines der schönsten Wörter der Welt ist ,Papa`. In allen Buchstaben kann sich ein hilfesuchendes Kind ein warmes Nest einrichten. Der Bauch von Groß- P, Klein-p und a bietet genügend Platz, um es sich mit einer Decke im Buchstaben gemütlich zu machen. Zusammengerollt, den Kopf an die Wand gelehnt, fühlt sich das Kind geschützt und geborgen. Als läge Papa seine weiche Hand auf den Körper des Kindes und würde es liebevoll streicheln, wie es eben Papas tun, wenn das Kind durch ein erschütterndes Erlebnis nach Trost und Geborgenheit sucht.

Anders verhält es sich jedoch mit dem Wort Vater. Außer in a und vielleicht, wenn man sich das Kind wenig zusammenquetscht, kann es noch in `e´ ein bisschen Halt finden. Aber in` V` stürzt es regelrecht hinein; ertrinkend in eine übervolle Vase. Erst einmal unten gelandet, strampelt es sich an den glatten Wänden rechts und links verzweifelt ab und schafft es nicht mehr hinaus. Was wäre ein Vater für ein Vater, wenn er sein Kind in solch eine Falle lockte?

Es wundert mich daher nicht, dass ich als Kind den Namen „Papa“ dem „Vater“ vorgezogen habe. Später war das anders. Als ich die ganzen Prozesse  der Täuschung und Enttäuschung, der Schmerzen, der Tränen und Trauer, aber auch der Freude und Liebe, die ein Elternteil seinem Kind im Laufe seines Lebens widerfahren lässt, hinter mir hatte, empfand ich es nicht mehr als angebracht ihn „Papa“ zu nennen. „Vater“ war hier stimmiger. Es schaffte eine scheinbar natürliche Distanz zu der Beziehung zwischen mir und ihm. Ich war erwachsen, hatte die Welt durchschaut und fühlte mich weit weniger abhängig von ihm, als ich es als Kind empfunden hatte. Der Name „Papa“ war für eine vertrauensvolle Beziehung vorgesehen, für eine Beziehung, die ein Kind unvoreingenommen zu seinem Vater eingeht, sobald es auf der Welt ist. Eine Beziehung, die die kindliche Seele nicht hinterfragt, die diesen Menschen, der mitgeholfen hat, dass es auf die Welt kommen konnte, einfach nur lieben wollte. Bedingungslos-unbedingt.  Und tatsächlich spürte ich seine Liebe zu mir sehr oft. Auch zu meinen Geschwistern.

Es waren die Augen, die so stolz aus seinem Gesicht blitzten, wenn ich etwas getan hatte, das ihn zum Lachen brachte. Es war die Gerechtigkeit, die er zu gleichen Teilen seinen drei Kindern schenkte. Es waren die Experimente, die er, wenn er eigentlich erschöpft von der Arbeit nach Hause kam, uns am Abendessen demonstrierte. Sein Lieblingsversuch war eine Münze  auf einer gekühlten leeren Flasche zum Bewegen zu bringen. Dazu legte er einen Cent auf die Flaschenöffnung und umgriff den Bauch mit seinen Händen. Wir warteten gespannt. Es dauerte eine, zwei, drei Minuten. Es passierte nichts. Als wir schon dachten, das Experiment sei gescheitert, hob sich plötzlich die Münze ein kleines bisschen und hüpfte wieder zurück auf die Flasche. Die Luft in dem Gefäß hatte sich erwärmt, entwich und hob dadurch die Münze an. Wir waren begeistert. Ich fühle es noch heute wie stolz ich dann auf meinen Papa war, der solche Wunderdinge hervorbrachte.

Ebenso weiß ich noch, wie er mit einer Lupe einen Laubhaufen zum Brennen brachte. Geduldig hob er die Lupe in einem bestimmten Winkel in die Sonne, die das Glas erwärmte, das dann Hitze abgab. Wie schön! In solchen Momenten liebte ich ihn ganz besonders. Ich liebte sein Lächeln, seine Geduld und seine Hände.

 Ja, seine Hände. Sie waren sehr besonders. Von der vielen Arbeit waren seine Handflächen mit einer festen Hornhaut überzogen. Die Furchen in den Handflächen waren schwarz. Schmutz würde jeder vernünftige Mensch sagen. Schmutz, den er nicht einmal mit einer Spezialseife und festem Schrubben abbekam. Manchmal stand er minutenlang am Waschbecken und versuchte das Schwarz abzubürsten, doch leider vergebens. Ob er sich dafür schämte? Ich weiß es nicht. Es war mir auch egal, denn für mich waren es einfach seine Hände. Sie gehörten genauso, wie sie waren, nicht anders, nicht weicher, nicht reiner. Für mich waren sie nicht schmutzig. Es waren einfach Papas Hände.

Mein Vater brachte mir vieles bei. Das realisierte ich freilich erst viel später. Dinge, die mir keine Schule, kein noch so interessanter Lehrer oder Lehrerin beibringen konnte. Und dadurch entdeckte ich auch, dass ich ihm viel ähnlicher bin, als ich immer geglaubt habe.

 

Wenn die Eltern gestorben sind, dann neigen wir Menschen dazu, sie zu idealisieren. Doch dazu war meine Kindheit zu anstrengend. Trotz seiner Liebe zu seinen Kindern, hatte mein Vater eine Seite an sich, mit der ich nur schwer zurechtkam. Es waren vor allem die Abende, die ich fürchtete. Ich kannte genau das Motorengeräusch, das sich meldete, wenn er in die Hofeinfahrt einrollte. Er kaufte stets Autos mit schweren Dieselmotoren, die seine Ankunft rechtzeitig ankündigten. Ab diesem Moment zog sich mein Herz zusammen. Was würde heute Abend wieder passieren? Würde er sich unter Kontrolle halten? Wer konnte das sagen? Ich jedenfalls nicht.

Dann lief das Schauspiel ungefähr folgendermaßen ab. Mama hatte bereits das Abendessen gerichtet, und meist saßen wir schon am Esstisch. Er setzte sich dazu, und oft wurde wenig geredet. Oder eben zu viel, nach seinen Begriffen, wenn wir Kinder uns laut und lebendig unterhielten. Und ja, auch manchmal stritten. Er war müde, wahrscheinlich auch hungrig. Er wollte seine Familie um sich, ja, aber nicht so laut. Das ertrug er nicht. Dann begann er zu schimpfen, redete davon, dass wir die Welt nicht verstünden und dass wir ihm seine Worte nicht glaubten, obwohl er doch der Erwachsene und Erfahrene sei. Er beschuldigte uns Kinder, dass wir immer die gleichen Fehler machten, dass wir nicht zuhörten und so weiter und so fort. Meine Mutter war übrigens auch schuld, dass wir uns so ungezogen verhielten, denn schließlich war sie dafür verantwortlich, uns richtig zu erziehen. In solchen Momenten versuchte meine Mutter uns zu verteidigen und bat ihn uns in Ruhe zu lassen.

Das war dann der Moment, der das Fass zum Überlaufen brachte. Er fühlte sich angegriffen, schrie und tobte, immer würde sie zu uns Kindern halten, niemand würde ihn verstehen, er sei ja immer nur der Böse. Manchmal steigerte er sich so hinein, dass er puterrot anlief und es nicht mehr schaffte aufzuhören. Dann schrie er, wir sollen aus der Küche verschwinden, sonst passiere noch etwas. Meine Mutter flüchtete mit uns ins Bad. Dort hingen wir zu Dritt an ihrem Rockzipfel und weinten alle vier. Für mich waren dies sehr schlimme Momente. Meine Mutter weinte nur selten, aber wenn, dann wusste ich, dass es ganz schlimm war. Und in diesen Augenblicken hasste ich meinen Vater.

In meiner Erinnerung hatte ich jeden Abend Angst, wenn er nach Hause kam. Ich wünschte mir sehr oft, er würde nicht mehr kommen. Immer hatte ich Angst, er würde zuschlagen. Ja, meine Geschwister und ich hatte er wohl zu meinen Kindheitszeiten zwei oder drei Mal geschlagen, meine Mutter jedoch nie. Trotzdem fühlte es sich so an, als würde er es irgendwann mal tun. Es gab auch Situationen, an denen er schon die Hand gegen sie erhoben hatte, dann aber zog er sie wieder zurück.

Erst als ich erwachsen war, erzählte meine Mutter, dass der Vater meines Vaters, also mein Großvater, seine Frau öfter geschlagen hatte. Sie berichtete mir, dass mein Vater meine Großmutter einmal mit Hämatomen im Gesicht im Bett aufgefunden hatte. Sie hatte solch starke Schmerzen, dass sie an diesem Tag nicht im Stande war aufzustehen. Dies erfüllte ihn mit solch einem Schmerz, dass er vor meiner Mutter weinte und zu ihr sagte, wenn er sie jemals schlagen solle, dann solle sie ihn verlassen. Es kam also nie  vor, denn auch dies war eine Seite meines Vaters, die ich sehr schätzte. Wenn er sich oder anderen etwas versprach, dann hielt er es ein. Leider allerdings wusste ich von diesem Erlebnis nichts als Kind, vielleicht hätte ich mich dann nicht so sehr vor ihm gefürchtet.

Was ich heute auch weiß ist, dass ich mir nur einmal hätte getrauen sollen nach solch einem Streit zu ihm zu gehen. Während wir vier weinend im Badezimmer standen, saß er alleine an einem gedeckten Küchentisch. Ich wusste schon damals, dass ihn diese Momente sehr traurig machten. Und sicherlich hatte er auch Schuldgefühle. Was er erreicht hatte waren Einsamkeit, ein Verlassen -Sein und Leere. Sowohl räumlich als auch im Herzen. Ich bin mir sicher, dass ich nach einigen Minuten die Chance gehabt hätte leise die Küchentüre zu öffnen, in das Zimmer zu schleichen und ihm still auf den Schoß zu klettern. Er hätte mich nicht weggeschickt. Vielleicht hätte er nichts gesagt, vielleicht hätte er auch nicht geweint, aber er hätte mich auf seinen Schoß gelassen und mir über die Haare gestreichelt. Ich hätte auch nichts gesagt, ihn nur ein bisschen gedrückt und meinen Kopf auf seine Brust gelegt. Und dann wären wir eine Weile still so dagesessen, bis er gesagt hätte, dass es jetzt Zeit für das Bett ist.

Aber ich habe es nie getan. Damals bin ich nicht auf die Idee gekommen. Ich habe ihm einfach nur verübelt, dass er es immer wieder schaffte unsere Abende zu verderben. Und ich warf ihm auch vor, dass er nie wissen wollte, wie es mir oder meinen Geschwistern ging, wenn er sich so verhielt. Es lief immer gleich ab. Ich flüchtete nach unserer  Bad-Koalition ins Bett, hoffte noch, dass er kam und nach mir sah, was nie geschah und weinte mich meist in den Schlaf. Mama schaute meistens nochmal nach mir, streichelte mir die widerspenstigen Haarsträhnen aus dem Gesicht und meinte „so sei er halt“. Ja, „so sei er halt“, als wäre er aus Versehen zu weit gelaufen. Als wäre es ein Ausrutscher, eine Bagatelle. Trotzdem tat mir der Trost gut. Ich war nicht ganz vergessen.

Am nächsten Tag hatte ich wieder Kraft getankt, der Streit schien vergessen, Papa begegnete mir wieder normal. Wenn man einen Streit, den man verschweigt als normal bezeichnen möchte. Was ich ihm allerdings am meisten verübelte, war, dass er sich bei mir nie, nie entschuldigt hatte.

Eine Umarmung, ein reumütiges, „es tut mir leid“, vermisste ich bis zu seinem Tod. Oder vielleicht äußerten sich seine Entschuldigungen anders, als ich mir das gewünscht hätte.

Eines Tages war ich, wir hatten wieder mal gestritten und ich einen seiner unzähligen Wutanfälle überstanden, auf dem Rückzug in mein Zimmer. Da rief er mir hinterher. Ich wunderte mich, was er denn wolle, normalerweise ließ er mich immer gehen. An diesem Tag nicht. Er lächelte mir ins Gesicht und bat mich mitzukommen. Er wirkte geheimnisvoll. Natürlich ging ich zu ihm. Wenn Vater rief, drehte man ihm besser nicht den Rücken zu. Er führte mich nach draußen und ging einige Meter. Vor der Garage des Nachbarn blieb er stehen. Er zog einen Schlüssel aus der Tasche und öffnete das Tor. Ich starrte neugierig in die Dunkelheit hinein. Als ich mich an sie gewöhnt hatte, erkannte ich ein rotes Auto. „Das ist deins“, meinte Vater und lächelte. Ich brauchte eine Weile bis ich realisierte, dass er heimlich einen Polo gekauft, den Nachbarn gefragt hatte, ob er den einen Teil seiner Garage mieten könne und den Wagen an mir vorbei dort hinein gebracht hatte. Nichts, rein gar nichts hatte ich davon mitbekommen. Es war ihm gelungen mich damit zu überraschen.

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich konnte ihm nicht um den Hals fallen. Es war sehr rührend, wirklich, und doch hatte er gerade wieder einen Tobsuchtsanfall gehabt. Was hätte ich darum gegeben, wenn er mich einfach in den Arm genommen und gesagt hätte, wie leid es im  täte. Stattdessen machte er mir so ein riesengroßes Geschenk. Und ich? Ich stand schon wieder in seiner Schuld. Ich war so traurig.

 


 
 
 

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